Auszug aus der dreibändigen Biographie „Ich bin Tempelritter Georg“ , zweiter Band, ab Seite 313
Das Jahr 1295
Vornehmer Besuch
Ein bis zweimal im Monat kommt eine Gruppe vornehmer Juden aus Rouens zum Prior der Templerburg. Die Juden in Rouens sind als hervorragende Handwerker, geschickte Händler, aber auch als Geldverleiher gegen Zinsen tätig. Benötig ein Affiliierter der Templer Geld, so wendet er sich um Vermittlung an den Prior, der bei den monatlichen Gesprächen mit den jüdischen Geldverleihern die Situation des Affiliierten darlegt, sowie dessen Bonität und Verlässlichkeit. Bei solchen Geldverträgen haften die Templer nicht für die Rückzahlung, jedoch ist es noch nie vorgekommen, dass Schuldner ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind, wenn sie von den Templern empfohlen wurden. Der Zinssatz ist bei solch geliehenen Summen wesentlich niedriger, als die Juden sonst bei „Risikoschuldnern“, fordern.
Die jüdische Abordnung erscheint jeweils an einem Dienstag der Woche und wird vom Prior zum Essen geladen, dass in diesem Falle im Gästerefektorium eingenommen wird. An solchen Tagen wird Fisch serviert. In der Küche auf Rouens wird für jede Speise immer nur ein bestimmtes Kochgeschirr verwendet, das kommt den Ansprüchen der jüdischen Gäste entgegen.
Die Abordnung besteht stets aus sechs Männern, und ebenso viele Templer werden vom Prior zum Tisch beordert. Auch dem alter entsprechend sucht der Prior die Ritter aus, damit die Konversation bei Tisch im gewünschten Sinne abläuft. Ich erhalte am Vortag vom Prior den Auftrag, über ein bestimmtes Thema bei Tisch zu berichten, sei es mein Aufenthalt im Heiligen Land, oder an einigen Beispielen, meine Sprachkenntnisse darzulegen. Der jüngste Jude ist in meinem Alter, er ist hoch gebildet, spricht ebenfalls mehrere Sprachen und ist der ganze Stolz seines Vaters. Er ist dunkelblond wie ich. Durch meine Ausführungen erhält Josua dann ebenfalls Gelegenheit, sein Wissen vorzuführen. Damit ist die Unterhaltung bei Tisch häufig eine Abhandlung philosophischer Ansichten, die sich trotz der verschiedenen Glaubenszugehörigkeit häufig decken.
Nach den Ausführungen Josuas unterliegt auch das Judentum kulturellen Veränderungen und verschiedenen philosophischen Strömungen. Aus dem spanisch-arabischen Kulturkreis wirken besonders die Schriften des Juda ha-Levi und des Mose ben Maimon. Den talmudischen Anschauungen steht seit langem die Lehre der Kabbala zur Seite, manchmal auch entgegen. Die Auswirkungen der Kabbala gipfeln in dem Bemühen, alle menschlichen Taten nicht aus Gehorsam gegen das Gebot ihres Gottes zu tun, sondern als Mittel, das Kommen des Messias zu beschleunigen, und so die Welterlösung herbeizuführen. Mit Hilfe der Kabbala wollen die Juden, auch die zyklisch auftretenden Katastrophen vorher berechnen, die ihr Volk immer wieder heimsuchen, und es Verfolgungen und Vertreibungen unterwirft.
Für diesen Dienstag, soll ich über das Buch des Villanovanus referieren, und Josua dann Gelegenheit geben, sein Wissen und seine Auslegung über die Kabbala zu äußern. Auch er kennt das Buch des zwielichtigen Villanovanus, „Tetragrammaton“. Josua verwehrt sich energisch gegen die Auslegung der Kabbala durch Villanovanus, der die Kabbala, deren Grundlage die orientalische Emanationslehre sein soll, als Geheimlehre der Juden bezeichnet. Villanovanus führt auch aus, dass durch die richtige Anwendung von bestimmten Worten, nicht nur Juden, Vorteile und Nutzen damit erreichen. Damit entartete die Kabbala zur Zauberei, und die Anwendung von magischen Kräften wird ausschließlich zum Schaden eingesetzt.
Bevor Josua mit seiner Ausführung beginnen kann, tritt ein Bote ein, der eine wichtige Nachricht für den Prior überbringt. Es ist sehr unüblich, dass der Prior während eines Gespräches unterbrochen wird, doch betrifft die Nachricht unsere Gäste. Als der Prior zurückkommt, ist sein Gesicht sehr besorgt. Er hält nicht lange mit der unangenehmen Neuigkeit zurück, sondern berichtet, dass König Philipp IV. beabsichtigt, in drei Tagen, die wohlhabenden Juden verhaften zu lassen. Der Krieg gegen England verschlingt Unsummen und Philipp IV. schränkt seine aufwändige Hofhaltung nicht im Mindesten ein. Erst vor vier Jahren hat er dieselbe schändliche Handlung an Bankiers aus der Lombardei begangen, und diese erst nach hohen Lösegeldzahlungen aus der Haft entlassen und aus Frankreich vertrieben.
Wie verlässlich die Nachricht ist, kann der Prior nicht mit Sicherheit sagen, die Warnung kommt aus dem Circulus Magus zu Paris.
Das Templerhaus zu Rouens kann offizielle nicht der jüdischen Gemeinschaft helfen, jedoch übergibt mir der Prior den Auftrag, alles, was ich für die Rettung unserer Freunde als notwendig erachte, mit meiner Truppe zu unternehmen. Er will von mir schließlich eine Erfolgsmeldung. Ich habe weitestgehend freie Hand, unter Berücksichtigung der Interessen des Ordens. Daraufhin hebt der Prior die Tafel auf, die Juden verlassen die Templerburg, um Vorkehrungen zu treffen, bis auf Josua, mit dem ich mich noch intensiv berate.
JOSUA
Josua, dessen Name „Hilfe Jahve“ macht seinem Namen alle Ehre. Denn der Bibel nach ist Josua der Nachfolger Moses, der sein Volk aus ägyptischer Gefangenschaft rettete. Ein Templerschiff liegt im Hafen, das in der nächsten Woche nach Portugal auslaufen soll, mit Schriften und wissenschaftlichen Geräten. Der portugiesische König Diniz, Sohn von Alfons III., hat erst im Jahre 1290 eine Universität zu Lissabon gestiftete, für die er Gelehrte beruft, aber auch Bücher aus aller Welt herbeischaffen lässt. Er ist an den Templerorden herangetreten, und hat für die Universität um Unterstützung gebeten. Ein Vorfahre von König Diniz, war Alfons I., der Eroberer, der erste König von Portugal. Dieser war der Sohn Heinrichs von Burgund, deshalb wird in portugiesischen Adelskreisen verbreitet französisch gesprochen.
Ich mach Josua den Vorschlag, noch heute damit zu beginnen, erst das Gepäck seiner Leute an Bord zu bringen, und spätestens morgen abends, auch die Menschen, wenn es schon dunkel ist, in kleinen Gruppen an Bord des Schiffes zu führen. Josua ist besorgt, und meint, dass ein einziges Schiff wohl nicht reichen wird. Als ich ihm sage, dass im Rumpf des Schiffes mindestens 300 Menschen Platz finden, ist er etwas beruhigt, die jüdische Gemeinde in Rouens umfasst 90 Leute.
Nun erweist es sich, dass junge Menschen gleichen Alters, häufig einander in ihren Ansichten ähnlich sind, über die Grenzen ihrer Erziehung und Kultur hinaus. Die Übereinstimmung mit Josua wird bei der Planung dieser Aktion deutlich. Er erfüllt alle meine Vorschläge zur Rettung seiner Leute sehr gewissenhaft und hat seinerseits sinnvolle Ergänzungen anzubieten. Zwischen uns entsteht ein Bündnis, das lange Zeit Gültigkeit hat.
Die Juden von Rouens, entschließen sich alle, nach Portugal zu fliehen. Zur großen Überraschung jedoch, sind es kaum 50 Juden aus Paris, die das Schiff besteigen. So vermeinen einige reiche Juden in Paris, für den König durch ihre Tätigkeit unentbehrlich zu sein, andere wiederum verweisen auf Schutzbriefe, die sie von hohen Persönlichkeiten ausgestellt erhielten. Der bedeutungsvolle Schritt in eine unsichere Zukunft, lässt die meisten vor einer Veränderung ihres Lebens zurückschrecken.
So senden die Pariser Juden offenbar nur ihre unliebsamen Verwandten, die sie zwar mit Geld ausstatten, jedoch froh darüber sind, dass sie diese los sind.
Die Tage, aber auch Nächte sind ausgefüllt mit hektischer Tätigkeit. Mancher Besitz der Juden wird in eine Baracke gebracht, die vor der Templerburg errichtet ist. Dort wird alles in Kisten der Templer verpackt. Dann können diese Gebinde unauffällig zum Schiff getragen werden.
In der letzten Nacht werden die jüdischen Leute zum Schiff gebracht, die tagsüber trotz der Hitze, im Schiffsrumpf verbleiben müssen.
Im Auftrag des Priors, verfasse ich Schreiben an den portugiesischen König. Es sind Empfehlungsschreiben, auch Bitten für die jüdische Gemeinschaft, sowie das Angebot der Templer, für eine weitere umfangreiche Unterstützung der neuen Universität. Der Prior lässt mich ausführlich die Bildung der Juden beschreiben, und ihre Verlässlichkeit in den letzten Jahrzehnten.
Am Tag der Abfahrt, trifft ein Bote ein, mit der dringenden Bitte, sofort zum Schiff zu kommen. Soldaten des Königs begehren, das Schiff der Templer zu kontrollieren. Sie haben den Auftrag, alle Schiffe anzusehen, unseres ist das letzte.
Dem Kapitän ist es bis jetzt gelungen, indem er den Schiffssteg nicht hinunter ließ, das Betreten des Schiffes durch die Soldaten zu verhindern. Der Hauptmann des Königs will sich nicht mehr länger hinhalten lassen, er hat schon Männer ausgesendet, die Pfosten bringen sollen, damit sie das Schiff besteigen können.
In großer Eile besteige ich mein Pferd, es bleibt keine Zeit, meine Truppe zusammen zu rufen, nur Michael begleitet mich. Als ich beim Schiff ankomme, scheint die Situation zu eskalieren. Der Hauptmann will die Pfosten an das Schiff anlehnen lassen, der Kapitän und die Mannschaft stehen kampfbereit an der Reling, um jede Kaperung unmöglich zu machen.
Beim Schiff angekommen, bleibe ich auf meinem Pferd „Fürschtl“ sitzen, da auch der Hauptmann nicht abgestiegen ist und seine Befehle vom Pferd herab brüllt. Mit ruhiger Stimme frage ich, was hier vorgeht. Der Hauptmann, hochrot im Gesicht, schnaubt wütend, er habe den königlichen Befehl, dass Schiff zu kontrollieren.
Ich frage ihn, ob er den Befehl hat, ein Schiff des Templerordens zu kontrollieren. Er geifert, alle Schiffe müsse er kontrollieren. Auf meine Bitte, mir den schriftlichen Befehl vorzuweisen, meint er, dies sei bei königlichen Soldaten nicht üblich. Nun will ich wissen, ob er mir den Wortlaut des Befehls aufsagen kann, er verneint. Ich mach ihn aufmerksam, dass der Templerorden über viele Privilegien des Papstes verfügt. Das weiß er. Dass die Templer nur dem Papst unterstünden und nur diesem Gehorsam leisten müssten. Davon hat er gehört.
Nun frage ich ihn, ob er weiß, was einer Person passiert, die sich nicht an die Gebote des Papstes hält. Diese werden exkommuniziert, meint er. Dann frage ich ihn, ob er wüsste, was mit einem König passiert, der gegen die Vorschriften des Papstes verstößt. Der, so sagt der Hauptmann, wird ebenfalls exkommuniziert. Ja, antworte ich ihm, und sein Land und sein Volk kommen unter das Interdikt, keine Messen dürfen mehr gelesen werden, Glocken werden nicht mehr geläutet, es gibt keine Begräbnisse, keine Hochzeiten, keine Taufen und keine Absolution mehr. Jetzt wo ich merke, dass ich vollkommen in das Bewusstsein des Hauptmannes eingedrungen bin, gebe ich dem Kapitän das Zeichen, den Bootssteg herunter zu lassen. Zögernd steigt der Hauptmann von seinem Pferd und geht langsamen Schrittes zum Schiff empor. Er betritt es nicht, bleibt an der Reling stehen, und blickt sich um. Nun kann ich ihn durch meinen Willen nur das sehen lassen, was unverfänglich ist. Der Hauptmann wird später jeden Eid schwören, dass Schiff inspiziert zu haben und seine Mannschaft wird es bestätigen. Bald wendet er sich um, und kommt erleichtert den Bootssteg herunter. Rasch besteigt er sein Pferd, grüßt höflich, und gibt den Befehl zum Abmarsch.
Ich selbst betrete das Schiff nicht mehr, gebe sofort das Zeichen, den Bootssteg wieder einzuholen. Bald darauf kann das Schiff den Hafen verlassen.
Auf Rouens zurückgekehrt, bleibe ich nach der Abendmesse noch in der Kirche. Starke mentale Anstrengungen verdrängen alle körperlichen Bedürfnisse, wie Schlaf und Hunger. Ich habe die letzten drei Tage nicht geschlafen, es ist mir auch jetzt unmöglich. Ich sehe im Geiste das Schiff vor mir und empfange die Gefühle der Menschen darauf. Was, wenn die Warnung nicht stimmte, wenn die jüdische Gemeinde ihre Heimat, ihr sicheres Leben ohne triftigen Grund verlassen hat? Diese Menschen vertrauten dem geheimen Nachrichtensystem der Templer, wie, wenn wir sie nun enttäuschten?
Bereits nach der Morgenmesse trifft auf der Templerburg die Meldung ein, dass noch im Morgengrauen die Häuser der Juden in Rouens von königlichen Soldaten umstellt wurden, als sie in die Wohnungen eindrangen, fanden sie diese leer vor. Die Überraschung war groß.
Anders in Paris, dort wurden alle Juden verhaftet, auch die armen. Nach Aufnahme ihrer Personalien und Einschätzung des vermuteten Vermögenstandes, wurden ihnen hohe Summen abgepresst. Sobald diese aufgebracht waren, durften sie gehen. Die reichen Juden blieben in den Gefängnissen, sie wurden verhört und gefoltert. Das Vermögen, welches der König von ihnen fordert, ist alles was sie haben.
Bei den Verhören wird von einigen Gefolterten berichtet, dass die Juden eine Warnung von den Templern aus Rouens erhielten.
Daraufhin trifft nach einer Woche eine Abordnung von 50 Rittern des Pariser Templers auf Rouens ein. Die Burg soll gründlichst visitiert werden. Man vermutet, wir hätten die Juden bei uns versteckt. Der Prior wird keiner Befragung unterzogen, viele der Brüder auf Rouens werden jedoch verhört. Sie wissen nichts. Ich und meine Truppe werden am Morgen, als der Visitator auf Rouens eintrifft, mit einem Auftrag weggeschickt.